14.8.14

Baltikum II: Zwischen Düna und Memel

Mittwoch, 14. August. Tag 126. Ort: Augustów (PL). Kilometerstand: 7265.

Durch den staubigen Westen Lettlands fahren wir – vorbei an einigen Kirchenruinen und einem klotzigen "Helden"denkmal für lettische Weltkriegskämpfer, unter ihnen auch SS-Männer – in Richtung Süden. Bei Lielauce zeigen uns zwei einheimische Jugendliche einen guten Platz zum Zelten und ihren selbstgebauten Badesteg am dortigen See, dessen Ufer ansonsten von einer einen Kilometer breiten Schilfzone gesäumt und dementsprechend unzugänglich ist.

Typische lettische Provinzstraße mit grobem, rutschigem Schotter.
Gedenkstätte für lettische Soldaten im Zweiten Weltkrieg, darunter auch viele SS-Mitglieder.
Kaum haben wir die Grenze nach Litauen überquert, sind selbst kleine Straßen wieder asphaltiert, ja es gibt sogar vereinzelt außerorts Radwege. So was haben wir in Lettland nicht gesehen. 

Schloss in Jaunpils
Selbstgebaute Badestelle der Dorfjugend in Lielauce
Das Wetter bleibt derweile weiter schön, fast zu schön, jeden Tag ein Grad mehr. Die litauischen Zeitungen schreiben vom wärmsten Sommer seit 30 Jahren. Nach einem Zwischenstopp in der Industriestadt Mazeikiai, die überwiegend aus großen grauen Plattenbaublocks rund um die einzige baltische Raffinerie besteht, kommen wir am 27. Juli bei schönster Sommerhitze nach unserer bisher längsten Etappe (119 km) wieder an der Ostsee an und gehen erstmal baden.

Plattenbauromantik in Mazeikiai
Holzkirche in Gintaliske
Nochmal Gintaliske
Pünktlich zum Sonnenuntergang: Ankunft am Ostseestrand nördlich von Klaipeda
Von Klaipeda, dem alten Memel am Kanal zwischen Kurischem Haff und Ostsee, ist leider nach zwei Weltkriegen nicht allzuviel Sehenswertes übrig, man bemüht sich allerdings, zumindest die verbliebenen Speichergebäude am Hafen zu erhalten. Dort ziehen jetzt nach und nach – wie in vermutlich jeder europäischen Speicherstadt – Restaurants, Hotels und Großraumbüros ein. Nebenan gibt es auch noch eine kleine Altstadt.

Die Speicherstadt in Klaipeda
Im Klaipedaer Hafen
Ansonsten ist Klaipeda mit seinen 180.000 Einwohnern Litauens größte und eigentlich auch einzige richtige Hafenstadt und daher ziemlich industriell geprägt.

Eine kleine Personenfähre, zu dieser Jahreszeit vollgestopft mit Touristen, bringt uns über den Memel-Kanal auf die Kurische Nehrung. Dieser 100 Kilometer lange und nur drei Kilometer breite Sandstreifen trennt das Haff von der Ostsee und besteht zu großen Teilen aus hohen, meist mit Kiefern bewachsenen Dünen. Der südliche Teil gehört schon zur russischen Enklave Kaliningrad, dafür ist auf dem nördlichen umso mehr los. Zwischen den Badeorten finden sich aber auch zur Hochsaison ziemlich einsame weiße Sandstrände. Über die ganze litauische Hälfte führt zudem ein guter Radweg, meistens durch den Wald.

Weißer Sandstrand auf der Kurischen Nehrung
Kurz vor der russischen Grenze liegt Nida (früher deutsch Nidden), das der Hauptort der Nehrung und des dortigen Tourismus ist. Hier hatte schon Thomas Mann ein Sommerhaus, heute sind es zum großen Teil reiche Russen, die sich die schönen Plätze gesichert haben. Der Ort selbst ist im Sommer ziemlich voll und nicht weiter beschreibenswert, allerdings fahren von dort Schiffe über das Kurische Haff hinüber zum Memeldelta. Diesen Weg muss jeder wählen, der kein russisches Visum und keine Lust hat, den ganzen Weg nach Klaipeda zurückzufahren. Also zum Beispiel wir, aber auch zwei andere Radlerpaare (eins aus Holland, eins aus Deutschland), die wir in den nächsten Tagen noch öfter treffen.

Die Dünen von Nida am Kurischen Haff
Die Überfahrt lohnt sich allerdings, weil die Dünen der Nehrung vom Haff aus am beeindruckendsten sind, wie sie so direkt aus dem Wasser wachsen. Von Rusne, dem größten Dorf im Delta, gucken wir kurz rüber nach "Russland", damit wir das auch mal gesehen haben, auch wenn es nicht Bestandteil unserer Europareise ist.

An der Grenze in Rusne, drüben ist schon russisches Staatsgebiet, inklusive Wachturm.
Nördlich der Memel bewegen wir uns durch das Memelland (bis 1919 zum Deutschen Reich gehörig, dann offiziell autonom, allerdings bald von Litauen besetzt und 1939 auf Hitlerschen Druck "freiwillig" wieder an Deutschland abgetreten) nach Osten und treffen auch auf das eine oder andere Überbleibsel aus deutscher Zeit. In einem Dorf steht sogar ein renoviertes deutsches Denkmal für die Opfer des Ersten Weltkrieges, in einem anderen finden wir einen zerstörten und überwucherten deutschen Friedhof (letzte Beerdigung 1942). 

Litauische Reminiszenzen an die deutsche Vergangenheit: Die Bismarck-Straße
Zerstörter Grabstein auf einem alten deutschen Friedhof.
Deutsches Kriegerdenkmal.
Blick über die Memel.
Östlich von Jurbarkas werden die Ufer der Memel dann bergiger und hoch oben auf dem Nordufer finden sich einige alte Burgen und Kirchen mit Blick über den Fluss. Zwischen Jurbarkas und Kaunas sind wir ein paar Kilometer mit Max und Katja aus Braunschweig unterwegs, setzen zusammen mit der Fähre auf die Südseite über und überleben einen heftigen Gewittersturm, der uns auf freiem Feld überrascht.

Alter litauischer Burgwall am Memelufer (deutlich höher als unsere in der Lausitz, allerdings auch jünger). Der Grund für die Errichtung war hier derselbe; auf der anderen Seite saß nämlich der Deutsche Orden.
Mit der Fähre über die Memel.
Das Unheil naht und erwischt uns auf freiem Feld.
Kaunas ist die zweitgrößte Stadt Litauens, ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum, Universitätsstadt und war zwischen 1920 und 1940 sogar Hauptstadt, als Vilnius Wilna hieß und zu Polen gehörte. Außerdem liegt es anders als das abgelegene Vilnius an der Kreuzung aller wichtigen Verkehrswege, die durch Litauen führen.

Die Memel in Kaunas.
Kaunas.
Obwohl wir mitten in der Woche da sind, ist die Innenstadt gerappelt voll; in den zahllosen Cafés und Kneipen der Fußgängerzone sind keine Plätze mehr frei und gefühlt alle Kaunaser verbringen den warmen Sommerabend im Freien. Touristen sind – soweit erkennbar – kaum dabei. Semesterferien eben.

Weil uns die Zeit ein bisschen im Nacken sitzt (unser Visum für Weißrussland gilt ab dem 2. August) und wir auch noch eine Runde durch Vilnius spazieren wollen, überbrücken wir die 100 Kilometer zwischen den beiden litauischen Metropolen ausnahmsweise mit dem Zug.

Für Vilnius, einst als Wilna ein Zentrum vor allem jüdischen Lebens in der Region, bleibt uns leider trotzdem viel zu wenig Zeit, zudem regnet es auch noch, zum ersten Mal seit langem.

Blick über Vilnius.
Die Vilniuser Markthalle.
Das Tor der Morgenröte (gen Osten)
Das war das Baltikum; von Vilnius aus sind wir nach Belarus gefahren. Was wir dort erlebt haben, folgt nächste Woche.


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