Eigentlich war es unser Plan, in den kleinen
(aber von Tagestouristen auch Ende April schon völlig überlaufenen) Küstenort
Manarola in eine jener Buchten hinabzufahren, um dann auf einem Wanderweg
direkt am Meer weiterzukommen. Leider stellt sich nach 400 verlorenen
Höhenmetern unten heraus, dass eben jener Weg seit den Unwettern von 2008
aufgrund mehrerer Erdrutsche gesperrt ist.
Da es schon relativ spät am Abend ist,
entscheiden wir uns dagegen, den steilen Serpentinenweg wieder hinaufzufahren
und begeben uns stattdessen zum Bahnhof von Manarola. Die Dörfer der Cinque
Terre sind nämlich durch die Eisenbahn mithilfe zahlreicher Tunnel (die Bahn
kommt eigentlich nur an den Stationen zum Vorschein) deutlich besser
erschlossen als durch Straßen.
An der dortigen Information sagt man uns, dass
es drei Buchten weiter einen schönen Campingplatz gäbe. Wild zelten oder bei
Bauern um Erlaubnis fragen kommt an der Küste kaum in Frage, schon mal
deswegen, weil es kaum ebene Wiesen gibt. Wie auch immer, die Information
stellt sich als falsch heraus, ein Zeltplatz existiert in Monterosso nicht.
Glücklicherweise ist man nach dem Bau der
neuen Bahnstrecke auf die Idee gekommen, die Tunnel der alten Linie künftig für
Fußgänger und Radfahrer zu nutzen und hat auf diese Weise immerhin drei Buchten
miteinander verbunden. Durch diesen Umstand können wir unter Umgehung jeglicher
Serpentinen doch noch einmal die Bucht wechseln und landen schließlich in
Levanto, dem Hauptort der Cinque Terre, wo wir unser Nachtlager beziehen.
Der nächste Tag begann mit strömendem Regen,
was auf den ersten zehn Kilometern (eben auf dem größtenteils unterirdischen
Radweg) kaum auffiel. Danach müssen wir die Küste allerdings erstmal verlassen
und uns von 0 auf knapp über 600 Meter hinaufarbeiten, alles bei schönstem
Nieselwetter. Während man in Italien sonst ziemlich häufig auf Rennradler
trifft, ist an diesem Sonntag aufgrund des Wetters selbstverständlich kein
einziger unterwegs. Abends treffen wir in Chiavari zwei Radreisende aus Freiburg,
die mehr oder weniger in genau entgegengesetzte Richtung unterwegs sind,
nämlich von Frankreich aus in Richtung Kroatien und weiter die Donau hinab.
Über Rapallo, den Ort der Internationalen
Friedensverträge, wie es sich am Ortsschild stolz präsentiert (wer sich nicht
mehr erinnert: 1920 Italien–Jugoslawien, 1922 Deutschland–Sowjetunion), nähern
wir uns auf der einigermaßen stark befahrenen Küstenstraße Genua. Trotzdem sind
auch hier noch ein paar hundert Höhenmeter zu überwinden, da sich die Straße
zwischen den Küstenstädten immer mal wieder über ein Bergmassiv quält.
Da wir ungern in Genua übernachten wollen,
lassen wir die Stadt so schnell wie möglich hinter uns. Das, was im
Vorbeifahren zu sehen ist, sieht eigentlich ganz angenehm aus, eben nach einer
uralten Handelsstadt am Meer (Kolumbus war Genuese), allerdings wird das
mediterrane Ambiente durch mehrere wohl in den siebziger oder achtziger Jahren
errichtete Hochstraßen mitten durchs historische Zentrum ziemlich getrübt. Eine
andere Chance, als den Verkehr durch die Stadt zu führen, hat man allerdings
auch kaum, da sofort hinter der schmalen und dicht besiedelten Küstenlinie
steil das Gebirge nach oben steigt.
Westlich von Genua fahren wir durch diverse
schon seit der Römerzeit bekannte Hafenstädte, immer am Meer entlang und fast
immer mit dem Blick auf den gesamten Ligurischen Golf, was auf die Dauer
ziemlich nervig ist, weil man ständig vor Augen hat, wo man vor drei Tagen war.
Schöne kleine Städtchen, Motorradfahrer und Rennradler auf den Straßen, Palmen
und unglaublich klares Wasser im Meer. Der eigentlich geplante Ausflug in die
Ligurischen Alpen muss ausfallen, weil alles, was uns an der Küste in Form von
Gewittern und starkem Regen erreicht hat, in den Bergen als Schnee niederging.
Das ist uns dann doch zu kühl.
Hinter Ventimiglia, einer kleinen Küstenstadt
mit vielen französischen Touristen verlassen wir nach fast drei Wochen Italien
und begeben uns auf den französischen Abschnitt unserer Reise. Menton, die
erste Stadt in Frankreich, empfängt einen zunächst einmal mit Stau und Chaos.
Das soll auch noch eine Weile so bleiben. Für die Nacht arbeiten wir uns 300
Höhenmeter ins Küstengebirge hinauf, weil es im rustikalen provenzalischen
Bergdorf Gorbio (mit Blick auf die See) einen kleinen, gemütlichen Zeltplatz
gibt.
Den Morgen darauf haben wir nach ein paar
Serpentinen gleich ein ganzes Land im Blick – Monaco lässt sich von den
umliegenden Bergen tatsächlich vollständig überblicken. Wir begeben uns
hinunter in die Straßenschluchten des zweitkleinsten Staates der Welt. Wer auf
teure Autos steht, hat hier ordentlich was zu gucken. Im Stau, der auf
tatsächlich jeder befahrbaren Straße des Zwergstaates herrscht, ist vom Aston
Martin über Maseratis, Ferraris und andere heiße Schlitten alles dabei.
Mindestens drei Luxuskarren werden an diesem Tag rechts von Radlern überholt.
Nach einem kleinen Umweg durch den Yachthafen
und einem teuren Kaffee verlassen wir Monaco, dass sich gerade auf die Formel
Eins vorbereitet, wieder und fahren weiter nach Nizza. Viele Hotels, eine
schöne Promenade, aber bei Regen alles nicht so das Wahre. Überhaupt erleben
wir in dieser Woche nach einem sonnigen Vormittag jeden Tag ein Gewitter, bevor
es abends wieder aufklart.
Zwischen Nizza und Marseille erkunden wir ein wenig
das hügelige provenzalische Hinterland, das landschaftlich auch so einiges zu
bieten hat – Schluchten, klare Flüsse, Weinberge und sogar grüne Wälder.
Dazwischen immer wieder urige alte Dörfer und dann Grasse, die Welthauptstadt
des Parfüms (und Handlungsort des gleichnamigen Romans). Grasse scheint fest in
der Hand seiner Parfümerien zu sein, jedenfalls ist deren Werbung überall
präsent; sie schicken sogar einen jener unsäglichen Touristen-“Züge“ durch die
engen Gässchen der Altstadt.
Kurz vor Carcès nehmen wir eine Abkürzung
durch den Wald, die plötzlich zu einem Feldweg wird, der sich nach einigen
Metern als vorwiegend aus Lehm bestehend herausstellt. Die Räder blockieren,
die Schutzbleche werden völlig zugesetzt, das Zeug klebt überall – nach dem
Absteigen auch in dicken Schollen an den Schuhen. Wir entladen die Räder,
säubern sie provisorisch und tragen bzw. schieben sie am Gröbsten vorbei. Zwei
Kilometer in anderthalb Stunden. Noch zwei Tage später lösen sich beim Fahren
von irgendwoher getrocknete Lehmbrocken und zerstieben auf der Straße.
Über Carcès und Brignoles fahren wir auf
unserer bisher längsten Tagesetappe (82 km) zurück an die Küste, nach La Ciotat
(„die Stadt“) unweit von Marseille. Unterwegs äußerst wenige Menschen, die ein seltsames Französisch (nämlich
Okzitanisch) sprechen, ein paar verschlafene Nester in ewiger Siesta, viele
Schafe, Kiefern, Wein.
Von nun an geht es weiter in nördliche
Richtung, das Wetter ist uns wieder hold und die Tour de France kann beginnen.
PS: Mittlerweile ist schon der 9. Mai und wir haben Marseille hinter uns gelassen. Darüber mehr im nächsten Blog.