Sonnabend, 31. Mai. Tag 51. Ort: Echt (NL). Kilometerstand: 2996.
Hallo zusammen! Der letzte Eintrag ist
schon fast zwei Wochen her, was daran liegt, dass wir erst jetzt –
800 Kilometer weiter – dazu gekommen sind, einen Ruhe- und Putztag
einzulegen (die Räder ruhen, wir putzen sie). Durch Burgund, ein
bisschen Champagne und Lothringen, Ostbelgien und Luxemburg sind wir
mittlerweile bis in den Süden der Niederlande gelangt und haben uns
das kleine Städtchen Echt nördlich von Maastricht als Zwischenstopp
gewählt.
Der Weg durch Burgund führt uns
vorwiegend entlang verschiedener Kanäle und Flüsse durch die beiden
alten Städte Beaune und Dijon nach Langres (das ist dann schon
Champagne). Zwischendurch fahren wir auch einmal auf einer alten
Römerstraße, von der allerdings nicht mehr viel zu sehen ist, mal
abgesehen von ihrem Verlauf – schnurgerade ohne Rücksicht auf
Täler und Hügel.
|
Beaune. |
|
Dijon. |
Auf dem Zeltplatz bei Beaune verbringen
wir einen schönen Abend mit Wein, Zigarillos sowie Manfred und Resi,
einem weit gereisten Paar aus der Nähe von Friedrichshafen. Es gibt
nicht allzu viele Länder auf der Welt, in denen die beiden noch
nicht waren, und so haben wir viel zu reden. Am Morgen bedankt sich
Manfred (über 80 und nebenbei noch ein sehr engagierter
Heimatforscher) mehrfach für das gute Gespräch und kann gar nicht
glauben, dass wir bis halb eins gesessen haben. Da fühlen wir uns
doch ein bisschen geehrt.
In Dijon (Senf!) machen wir nur einen
kurzen Halt, scheint aber eine durchaus schöne Stadt mit
außergewöhnlich vielen Schwangeren zu sein.
Kurz vor Langres führt der Kanal in
einem Tunnel durch den Berg, welcher leider für Radfahrer und
Fußgänger gesperrt ist. Wir müssen also obendrüber.
Der alte Bischofssitz (seit dem 4.
Jahrhundert!) Langres überblickt, auf einem Felssporn erbaut, die
gleichnamige Hochebene und ist nebenbei als Geburtsort des
allerersten Enzyklopädisten Denis Diderot natürlich auch ein
Pflichttermin für jeden Wikipedianer. Diderot steht als Statue im
Zentrum der Stadt und Cafés, eine Straße sowie das städtische
Gymnasium sind nach ihm benannt.
In Langres erwischte uns des abends ein
heftiges Unwetter mit Gewitter, Starkregen, Hagel und kräftigem
Wind, der ordentlich am Zelt rüttelte. Jetzt wissen wir, dass dieses
so einiges aushält und fühlen uns auch in dieser Hinsicht für die
nächsten Monate gut ausgestattet.
|
Endlose Straßen Burgunds. |
|
Denis Diderot in Langres. |
|
Langres. |
|
Der Gewittersturm bedeckte unser Zelt und alles andere mit feinem Saharastaub. | |
In den nächsten Tagen bleibt das
Wetter grau und kühl, ab und an schüttet es und so kommt kein
richtiger Fahrspaß auf. Wir bleiben meist am Seitenkanal der Marne
und treffen 12 Kilometer vor Joinville bei einer Pause an der
Schleuse auf die „Paradoxe“, ein mittelgroßes Boot aus den
siebziger Jahren, und deren Besitzer und Bewohner Patricia und
Bernard, die uns dazu einladen, ein Stück auf statt neben dem Kanal
zu fahren. Obwohl die erlaubte Maximalgeschwindigkeit von 8 km/h
unserem Tagesziel im Wege steht, lassen wir es uns natürlich nicht
nehmen, die Räder auf Planken zu verfrachten und verbringen drei
schöne Stunden auf dem Wasser.
|
Später fahren wir dann doch noch durch einen Schiffstunnel. |
|
Mal was anderes: Bootsplanken unter den Rädern. |
Am Abend des 24. Mai erreichen wir nach
einem langen Tag im Tal der Maas endlich Verdun, alte Grenzfestung
und einer jener Orte, die vermutlich am eindrücklichsten zeigen, was
Europa eigentlich bedeutet.
|
Die Altstadt von Verdun. |
|
Touristeninfo. |
|
Der Eingang zur Zitadelle. |
Die erste Hälfte des nächsten Tages
besuchen wir dann die ehemaligen Schlachtfelder von 1916, die zwar
mittlerweile wieder dicht bewaldet sind, deren Erde aber noch immer
einige Millionen Geschossreste und die Überreste von Tausenden nie
gefundenen französischen und deutschen Soldaten in sich trägt. Eine
seltsame Gegend. Der Boden ist an keiner Stelle wirklich eben, da im
ganzen Gebiet östlich von Verdun jeder Quadratmeter wieder und
wieder umgegraben wurde – entweder von den Streitkräften, die sich
in endlosen Labyrinthen aus Schützengräben einbunkerten oder –
und das sieht man auch heute noch – durch das immerwährende
Trommelfeuer der Artillerie beider Seiten. Unter den Büschen und
Bäumen reiht sich ein Explosionskrater an den nächsten.
Auf dem zentralen Gräberfeld von
Verdun reihen sich Abertausende weißer Kreuze (und einige hundert
muslimische Grabsteine) aneinander, wobei die meisten gleich für
mehrere französische Soldaten stehen. Auf vielen Kreuzen wird
unbekannten Soldaten gedacht, deren Überreste nie jemandem
zugeordnet werden konnten. Durch die ganze Szenerie laufen Touristen,
teils andächtig, teils posieren sie auch munter fürs Familienalbum.
Die lieben Kleinen am Grab von Tausenden Soldaten, bitte lächeln.
Die ganze Dimension dieser Schlacht wird erst deutlich, wenn einem
klar wird, dass hier „nur“ 15.000 Gefallene liegen, und auch nur
jene von einer Kriegspartei. Einen schlichteren deutschen Friedhof
mit über 7.500 Gräbern besuchen wir ein paar Kilometer weiter. Dort
sind wir dann auch die Einzigen.
Alle Dörfer, die einmal in den Hügeln
nordöstlich von Verdun standen, wurden im Verlauf des Jahres 1916
völlig verwüstet und gingen in einer Mondlandschaft aus Schlamm und
Kratern unter. Dennoch gelten sie bis heute offiziell als Gemeinden,
die zwar keine Einwohner mehr, aber dafür noch Bürgermeister und
Ortsschilder vorweisen können. Am Standort jedes zerstörten Dorfes
erinnert ein Denkmal oder eine Kapelle an dieses, auch sind
vereinzelt noch ein paar Grundmauern zu sehen – sonst nichts.
|
Ortseingang des zerstörten Dorfes Fleury. |
|
Im Mahnmal von Verdun. |
|
Hier liegen Abertausende Soldaten begraben – viele wurden nie identifiziert. |
|
Auch zahlreiche muslimische Gefallene aus den Kolonien fanden hier ihre letzte Ruhe. |
|
Die Erde vor Verdun enthält noch immer Tausende explosionsfähige Geschosse – und die Knochen jener, die nie gefunden wurden. |
|
Ein paar Kilometer weiter beginnen die deutschen Soldatenfriedhöfe. |
|
Durch den nordwestlichsten Zipfel
Lothringens (eine komische Gegend, gab wahrscheinlich mal Steinkohle
und jetzt nichts mehr) verlassen wir nach mehr als drei Wochen
Frankreich und betreten Belgien. Sonst ändert sich allerdings
nichts, Sprache und Währung bleiben gleich und der Supermarkt um die
Ecke ist hüben wie drüben Carrefour.
Da wir schon einmal in der belgischen
Provinz Luxemburg sind, machen wir auch einen anderthalbtägigen
Ausflug in das gleichnamige Großherzogtum, das ja zu einer
Europareise irgendwie schon als Pflichttermin dazugehört und sich
hier in seinem Norden, der schon zu den Ardennen gehört,
einigermaßen hügelig und ziemlich dünn besiedelt präsentiert.
Darüber hinaus ist die Sprache lustig anzuhören und die Tabaksteuer
ist die mit weitem Abstand niedrigste in Westeuropa. Letzebürgisch,
das früher etwas hinter den beiden „offiziellen“ Sprachen
Französisch und Deutsch verblasste, obwohl es die Muttersprache der
meisten Einwohner ist, scheint im Alltag mittlerweile gut verankert.
Auf jeden Fall waren fast alle Wahlplakate für die Europawahl auf
Letzebürgisch gehalten (Beispiel siehe unten), so wie auch ein
Großteil der Werbung. Die Sprache ist zwar mehr oder weniger ein
deutscher Dialekt, allerdings für das ungeübte Ohr maximal zu 50
Prozent verständlich. Aber das geht uns ja mit einigen deutschen
Mundarten innerhalb der Bundesrepublik auch nicht anders.
|
Kommunismus auf Letzebürgisch. |
|
Esch an der Sure – viele Hotels, kein Laden. |
|
Zweisprachigkeit platzsparend. |
Im Osten Belgiens durchfahren wir die
Deutsche Sprachgemeinschaft, die kleinste von dreien, die sogar ein
eigenes Parlament wählt, dieses Jahr gemeinsam mit der Europawahl.
Dabei handelt es sich um den größten Teil der bis 1918 preußisch
verwalteten Landkreise Eupen und Malmedy, die mit dem Versailler
Vertrag zu Belgien kamen. Malmedy selbst allerdings war auch vorher
schon französischsprachig. In Sankt Vith, einem kleinen Ort kurz
hinter der luxemburgischen Grenze, ist dagegen alles deutsch. Die
Menschen auf der Straße sprechen genauso wie ihre Nachbarn in
Nordrhein-Westfalen, es gibt ein deutsches Gymnasium und auf dem
Autobahnschild nach Trier-Trèves ist die zweite Hälfte überpinselt.
Französisch kommt kaum vor.
Auf dem erst 2013 eröffneten
Vennbahnradweg, der die Trasse der ehemaligen Eisenbahn nutzt, kommen
wir schnell in Richtung Aachen voran. Dabei fahren wir bis kurz vor
die alte Kaiserstadt zwar durchgängig auf belgischem Gebiet, welches
allerdings nur zwanzig Meter breit ist. Die Böschungen, Wiesen und
Dörfer links und rechts der Strecke gehören zu Deutschland. Diese
seltsame Grenzziehung stammt ebenfalls aus dem Versailler Vertrag,
der zwar einige deutsche Orte westlich der Bahn bei Deutschland
bleiben ließ, die strategisch wichtige Bahn selbst jedoch Belgien
zuschlug. Noch bis in die fünfziger Jahre verdienten sich die
Jugendlichen in den so vom Rest des Landes abgetrennten deutschen
Dörfern zum Beispiel durch Kaffeeschmuggel über die Bahnstrecke ein
kleines Zubrot und auch die Polizei hatte ihre Mühe, wenn etwa auf
den belgischen Bahnübergängen zwischen zwei deutschen Ortschaften
ein Unfall passierte. Heute spielt das natürlich alles keine Rolle
mehr, an den Grenzen zwischen Belgien, Luxemburg, Deutschland und den
Niederlanden steht ja oft nicht mal mehr ein Schild, das einen auf
irgendeine Veränderung hinweist. Und eigentlich ändert sich ja auch
kaum etwas.
|
Komische Grenzziehung: Links und rechts BRD, dazwischen 20 Meter Belgien. |
|
Der Vennbahnradweg. Zu welchem Land die Brücke darüber gehört, bleibt ein Rätsel. |
Bei der Kaffeepause in Aachen und einem
Blick in die Regionalzeitung stellen wir fest, dass wir zufällig
pünktlich am Tag der Karlspreisverleihung in die Europastadt
gekommen sind. Da die öffentliche Veranstaltung nur zehn Minuten
später um die Ecke auf dem Katschhof am Dom beginnen soll, schauen
wir da mal vorbei und sehen auf der Bühne nicht nur EU-Ratspräsident
van Rompuy, den diesjährigen Preisträger, sondern auch Arsenij
Jazenjuk, Ministerpräsident der Ukraine und seine Kollegen aus
Moldawien und Georgien, die als Gäste anwesend sind. Auf der anderen
Seite des Rathauses demonstriert derweil – natürlich ordentlich
voneinander getrennt – auf der einen Seite Ukrainer für die
Einheit ihres Landes und auf der anderen Seite ein kleines Häufchen
angeblicher Linker gegen Jazenjuk und für die „Sicherheit der
Leute des Donbass“, vor wem auch immer die sich gerade am meisten
fürchten müssen.
|
Arsenij Jazenjuk und seine Kollegen aus Moldawien und Georgien (von rechts). |
Direkt hinter der Aachener Stadtgrenze
beginnt die Provinz Limburg, die einzige Ecke der Niederlande, wo es
so etwas wie Berge gibt. Die können es zwar nicht mit Zentralmassiv
und Appenin aufnehmen, entsprechen allerdings auch so gar nicht
unserem Bild von Holland. Das wird erst hinter Maastricht (alte
Kirchen, Kaufmannshäuser aus Backstein und unzählige Boutiquen) so
wie es sein soll – flach, dicht bebaut und von Kanälen und Flüssen
durchzogen.
Nach der gestrigen Pause geht es ab heute in nordöstliche Richtung, geradewegs in Richtung Hamburg und
weiter nach Puttgarden (pod grodom), wo die Fähre wartet.