1.6.14

Tour de Franc(ophoni)e II: Im Herzen des Kontinents

Sonnabend, 31. Mai. Tag 51. Ort: Echt (NL). Kilometerstand: 2996.
Hallo zusammen! Der letzte Eintrag ist schon fast zwei Wochen her, was daran liegt, dass wir erst jetzt – 800 Kilometer weiter – dazu gekommen sind, einen Ruhe- und Putztag einzulegen (die Räder ruhen, wir putzen sie). Durch Burgund, ein bisschen Champagne und Lothringen, Ostbelgien und Luxemburg sind wir mittlerweile bis in den Süden der Niederlande gelangt und haben uns das kleine Städtchen Echt nördlich von Maastricht als Zwischenstopp gewählt.

Der Weg durch Burgund führt uns vorwiegend entlang verschiedener Kanäle und Flüsse durch die beiden alten Städte Beaune und Dijon nach Langres (das ist dann schon Champagne). Zwischendurch fahren wir auch einmal auf einer alten Römerstraße, von der allerdings nicht mehr viel zu sehen ist, mal abgesehen von ihrem Verlauf – schnurgerade ohne Rücksicht auf Täler und Hügel.

Beaune.
Dijon.

Auf dem Zeltplatz bei Beaune verbringen wir einen schönen Abend mit Wein, Zigarillos sowie Manfred und Resi, einem weit gereisten Paar aus der Nähe von Friedrichshafen. Es gibt nicht allzu viele Länder auf der Welt, in denen die beiden noch nicht waren, und so haben wir viel zu reden. Am Morgen bedankt sich Manfred (über 80 und nebenbei noch ein sehr engagierter Heimatforscher) mehrfach für das gute Gespräch und kann gar nicht glauben, dass wir bis halb eins gesessen haben. Da fühlen wir uns doch ein bisschen geehrt.

In Dijon (Senf!) machen wir nur einen kurzen Halt, scheint aber eine durchaus schöne Stadt mit außergewöhnlich vielen Schwangeren zu sein.

Kurz vor Langres führt der Kanal in einem Tunnel durch den Berg, welcher leider für Radfahrer und Fußgänger gesperrt ist. Wir müssen also obendrüber.

Der alte Bischofssitz (seit dem 4. Jahrhundert!) Langres überblickt, auf einem Felssporn erbaut, die gleichnamige Hochebene und ist nebenbei als Geburtsort des allerersten Enzyklopädisten Denis Diderot natürlich auch ein Pflichttermin für jeden Wikipedianer. Diderot steht als Statue im Zentrum der Stadt und Cafés, eine Straße sowie das städtische Gymnasium sind nach ihm benannt.

In Langres erwischte uns des abends ein heftiges Unwetter mit Gewitter, Starkregen, Hagel und kräftigem Wind, der ordentlich am Zelt rüttelte. Jetzt wissen wir, dass dieses so einiges aushält und fühlen uns auch in dieser Hinsicht für die nächsten Monate gut ausgestattet.

Endlose Straßen Burgunds.
Denis Diderot in Langres.
Langres.
Der Gewittersturm bedeckte unser Zelt und alles andere mit feinem Saharastaub. 

In den nächsten Tagen bleibt das Wetter grau und kühl, ab und an schüttet es und so kommt kein richtiger Fahrspaß auf. Wir bleiben meist am Seitenkanal der Marne und treffen 12 Kilometer vor Joinville bei einer Pause an der Schleuse auf die „Paradoxe“, ein mittelgroßes Boot aus den siebziger Jahren, und deren Besitzer und Bewohner Patricia und Bernard, die uns dazu einladen, ein Stück auf statt neben dem Kanal zu fahren. Obwohl die erlaubte Maximalgeschwindigkeit von 8 km/h unserem Tagesziel im Wege steht, lassen wir es uns natürlich nicht nehmen, die Räder auf Planken zu verfrachten und verbringen drei schöne Stunden auf dem Wasser.
Später fahren wir dann doch noch durch einen Schiffstunnel.
Mal was anderes: Bootsplanken unter den Rädern.

Am Abend des 24. Mai erreichen wir nach einem langen Tag im Tal der Maas endlich Verdun, alte Grenzfestung und einer jener Orte, die vermutlich am eindrücklichsten zeigen, was Europa eigentlich bedeutet.

Die Altstadt von Verdun.
Touristeninfo.
Der Eingang zur Zitadelle.

Die erste Hälfte des nächsten Tages besuchen wir dann die ehemaligen Schlachtfelder von 1916, die zwar mittlerweile wieder dicht bewaldet sind, deren Erde aber noch immer einige Millionen Geschossreste und die Überreste von Tausenden nie gefundenen französischen und deutschen Soldaten in sich trägt. Eine seltsame Gegend. Der Boden ist an keiner Stelle wirklich eben, da im ganzen Gebiet östlich von Verdun jeder Quadratmeter wieder und wieder umgegraben wurde – entweder von den Streitkräften, die sich in endlosen Labyrinthen aus Schützengräben einbunkerten oder – und das sieht man auch heute noch – durch das immerwährende Trommelfeuer der Artillerie beider Seiten. Unter den Büschen und Bäumen reiht sich ein Explosionskrater an den nächsten.

Auf dem zentralen Gräberfeld von Verdun reihen sich Abertausende weißer Kreuze (und einige hundert muslimische Grabsteine) aneinander, wobei die meisten gleich für mehrere französische Soldaten stehen. Auf vielen Kreuzen wird unbekannten Soldaten gedacht, deren Überreste nie jemandem zugeordnet werden konnten. Durch die ganze Szenerie laufen Touristen, teils andächtig, teils posieren sie auch munter fürs Familienalbum. Die lieben Kleinen am Grab von Tausenden Soldaten, bitte lächeln. Die ganze Dimension dieser Schlacht wird erst deutlich, wenn einem klar wird, dass hier „nur“ 15.000 Gefallene liegen, und auch nur jene von einer Kriegspartei. Einen schlichteren deutschen Friedhof mit über 7.500 Gräbern besuchen wir ein paar Kilometer weiter. Dort sind wir dann auch die Einzigen.

Alle Dörfer, die einmal in den Hügeln nordöstlich von Verdun standen, wurden im Verlauf des Jahres 1916 völlig verwüstet und gingen in einer Mondlandschaft aus Schlamm und Kratern unter. Dennoch gelten sie bis heute offiziell als Gemeinden, die zwar keine Einwohner mehr, aber dafür noch Bürgermeister und Ortsschilder vorweisen können. Am Standort jedes zerstörten Dorfes erinnert ein Denkmal oder eine Kapelle an dieses, auch sind vereinzelt noch ein paar Grundmauern zu sehen – sonst nichts.

Ortseingang des zerstörten Dorfes Fleury.
Im Mahnmal von Verdun.
Hier liegen Abertausende Soldaten begraben – viele wurden nie identifiziert.
Auch zahlreiche muslimische Gefallene aus den Kolonien fanden hier ihre letzte Ruhe.

Die Erde vor Verdun enthält noch immer Tausende explosionsfähige Geschosse – und die Knochen jener, die nie gefunden wurden.
Ein paar Kilometer weiter beginnen die deutschen Soldatenfriedhöfe.
 Durch den nordwestlichsten Zipfel Lothringens (eine komische Gegend, gab wahrscheinlich mal Steinkohle und jetzt nichts mehr) verlassen wir nach mehr als drei Wochen Frankreich und betreten Belgien. Sonst ändert sich allerdings nichts, Sprache und Währung bleiben gleich und der Supermarkt um die Ecke ist hüben wie drüben Carrefour.

Da wir schon einmal in der belgischen Provinz Luxemburg sind, machen wir auch einen anderthalbtägigen Ausflug in das gleichnamige Großherzogtum, das ja zu einer Europareise irgendwie schon als Pflichttermin dazugehört und sich hier in seinem Norden, der schon zu den Ardennen gehört, einigermaßen hügelig und ziemlich dünn besiedelt präsentiert. Darüber hinaus ist die Sprache lustig anzuhören und die Tabaksteuer ist die mit weitem Abstand niedrigste in Westeuropa. Letzebürgisch, das früher etwas hinter den beiden „offiziellen“ Sprachen Französisch und Deutsch verblasste, obwohl es die Muttersprache der meisten Einwohner ist, scheint im Alltag mittlerweile gut verankert. Auf jeden Fall waren fast alle Wahlplakate für die Europawahl auf Letzebürgisch gehalten (Beispiel siehe unten), so wie auch ein Großteil der Werbung. Die Sprache ist zwar mehr oder weniger ein deutscher Dialekt, allerdings für das ungeübte Ohr maximal zu 50 Prozent verständlich. Aber das geht uns ja mit einigen deutschen Mundarten innerhalb der Bundesrepublik auch nicht anders.
Kommunismus auf Letzebürgisch.
Esch an der Sure – viele Hotels, kein Laden.
Zweisprachigkeit platzsparend.

Im Osten Belgiens durchfahren wir die Deutsche Sprachgemeinschaft, die kleinste von dreien, die sogar ein eigenes Parlament wählt, dieses Jahr gemeinsam mit der Europawahl. Dabei handelt es sich um den größten Teil der bis 1918 preußisch verwalteten Landkreise Eupen und Malmedy, die mit dem Versailler Vertrag zu Belgien kamen. Malmedy selbst allerdings war auch vorher schon französischsprachig. In Sankt Vith, einem kleinen Ort kurz hinter der luxemburgischen Grenze, ist dagegen alles deutsch. Die Menschen auf der Straße sprechen genauso wie ihre Nachbarn in Nordrhein-Westfalen, es gibt ein deutsches Gymnasium und auf dem Autobahnschild nach Trier-Trèves ist die zweite Hälfte überpinselt. Französisch kommt kaum vor.

Auf dem erst 2013 eröffneten Vennbahnradweg, der die Trasse der ehemaligen Eisenbahn nutzt, kommen wir schnell in Richtung Aachen voran. Dabei fahren wir bis kurz vor die alte Kaiserstadt zwar durchgängig auf belgischem Gebiet, welches allerdings nur zwanzig Meter breit ist. Die Böschungen, Wiesen und Dörfer links und rechts der Strecke gehören zu Deutschland. Diese seltsame Grenzziehung stammt ebenfalls aus dem Versailler Vertrag, der zwar einige deutsche Orte westlich der Bahn bei Deutschland bleiben ließ, die strategisch wichtige Bahn selbst jedoch Belgien zuschlug. Noch bis in die fünfziger Jahre verdienten sich die Jugendlichen in den so vom Rest des Landes abgetrennten deutschen Dörfern zum Beispiel durch Kaffeeschmuggel über die Bahnstrecke ein kleines Zubrot und auch die Polizei hatte ihre Mühe, wenn etwa auf den belgischen Bahnübergängen zwischen zwei deutschen Ortschaften ein Unfall passierte. Heute spielt das natürlich alles keine Rolle mehr, an den Grenzen zwischen Belgien, Luxemburg, Deutschland und den Niederlanden steht ja oft nicht mal mehr ein Schild, das einen auf irgendeine Veränderung hinweist. Und eigentlich ändert sich ja auch kaum etwas.

Komische Grenzziehung: Links und rechts BRD, dazwischen 20 Meter Belgien.
Der Vennbahnradweg. Zu welchem Land die Brücke darüber gehört, bleibt ein Rätsel.

Bei der Kaffeepause in Aachen und einem Blick in die Regionalzeitung stellen wir fest, dass wir zufällig pünktlich am Tag der Karlspreisverleihung in die Europastadt gekommen sind. Da die öffentliche Veranstaltung nur zehn Minuten später um die Ecke auf dem Katschhof am Dom beginnen soll, schauen wir da mal vorbei und sehen auf der Bühne nicht nur EU-Ratspräsident van Rompuy, den diesjährigen Preisträger, sondern auch Arsenij Jazenjuk, Ministerpräsident der Ukraine und seine Kollegen aus Moldawien und Georgien, die als Gäste anwesend sind. Auf der anderen Seite des Rathauses demonstriert derweil – natürlich ordentlich voneinander getrennt – auf der einen Seite Ukrainer für die Einheit ihres Landes und auf der anderen Seite ein kleines Häufchen angeblicher Linker gegen Jazenjuk und für die „Sicherheit der Leute des Donbass“, vor wem auch immer die sich gerade am meisten fürchten müssen.
Arsenij Jazenjuk und seine Kollegen aus Moldawien und Georgien (von rechts).

Direkt hinter der Aachener Stadtgrenze beginnt die Provinz Limburg, die einzige Ecke der Niederlande, wo es so etwas wie Berge gibt. Die können es zwar nicht mit Zentralmassiv und Appenin aufnehmen, entsprechen allerdings auch so gar nicht unserem Bild von Holland. Das wird erst hinter Maastricht (alte Kirchen, Kaufmannshäuser aus Backstein und unzählige Boutiquen) so wie es sein soll – flach, dicht bebaut und von Kanälen und Flüssen durchzogen.

Nach der gestrigen Pause geht es ab heute in nordöstliche Richtung, geradewegs in Richtung Hamburg und weiter nach Puttgarden (pod grodom), wo die Fähre wartet.

2 Kommentare:

  1. Wie immer ihr das macht, aber besonders ist es schon, dass ihr so passend in Aachen gewesen seid.
    Ich genieße eure Berichte und schönen Bilder und habt weiter eine gute Reise. Bleibt gesund
    eure Conny

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    1. Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, das hat sich eben zufällig so ergeben. Das wird schon alles seine Richtigkeit haben. Mal gucken, was wir noch so zufällig mitnehmen. Die größte Radrundfahrt Schwedens haben wir (allerdings absichtlich) letztes Wochenende knapp verpasst.

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