2.2.10

tamil nadu: mahatma, minister und the mother

malai vanakkam!*
wir haben kerala - unser bisherigen favoriten in indien - letzten mittwoch verlassen und uns auf den weg ins benachbarte tamil nadu, das land der tamilen, gemacht. erst mittwoch, weil es uns in unserem palmenhain am rand des touristenparadieses dann doch ziemlich gefallen hat, und weil am dienstag nationalfeiertag war. der geht in indien alljaehrlich mit terrorwarnungen einher; daher muss man da nicht wirklich durch die gegend reisen. terror gabs auch dieses jahr wieder keinen.

*mal ein wenig tamil zur abwechslung: guten abend!

gruppe europaeer, die auch ein stueck indischer glueckseligkeit abhaben wollen und daher erstmal atmen lernen.

blick aus dem zug nach sueden.

die vierstuendige zugfahrt durch wegen mittagshitze menschenleere reisfelder und bananenhaine und vorbei an sandsteinbergen brachte uns zum suedlichsten punkt unserer reise sowie des indischen festlands. kanniyakumari ist wegen seiner besonderen lage an drei meeren natuerlich auch ein wichtiger pilgerort und fuehlt sich dementsprechend an. von den 20.000 einwohnern, die jaehrlich von mehr als 2 millionen besuchern ueberrollt werden, bekommt man relativ wenig mit. ein kleiner spaziergang fuehrte uns in die "altstadt", die historische fischersiedlung, wo es allerdings kein haus gibt, das aelter als fuenf jahre ist. der tsunami vernichtete hier alles, was nahe der kueste stand und verschonte nur die weiter oben gelegenen hotels. daher findet man auch kaum ein haus im ort, das nicht frisch verputzt und gestrichen ist. in den kleinen, leeren gassen ernteten wir viele misstrauische blicke, was in anbetracht der oben erwaehnten zahlenverhaeltnisse wahrscheinlich nicht verwunderlich ist. wir selber warfen dafuer einen blick in die dortige grundschule, wo die auf bambusmatten um den lehrer versammelten schueler gerade "david brings his mother a mango" lernten. trotzdem machte das wiedererrichtete viertel alles in allem einen seltsam unnatuerlichen, toten eindruck auf uns.

am kap komorin, der echten suedspitze, hat man - typisch indisch - einen ueberaus haesslichen aussichtsturm in form eines wasserhochtanks errichtet, der zum beobachten der auf- und untergehenden sonne dient. beides passiert hier naemlich im meer. wir liessen uns das erlebnis natuerlich nicht entgehen, und die sonne hat es diesmal sogar fast bis zum horizont herunter geschafft. trotz aller romantik sind die innenwaende des turms wie jedes oeffentliche gebaeude des landes mit blutroten flecken uebersaet. das ist kein indiz fuer gewalt oder aehnliches, sondern vielmehr fuer den genuss von paan, besser bekannt als betel, das gekaut und anschliessend wild durch die gegend gespuckt wird.

sonnenuntergang mit fischerbooten.

weil kanniyakumari wie gesagt ziemlich touristisiert ist, und es daher eine menge schlechter, aber trotzdem teurer unterkuenfte gibt, haben wir uns diesmal uebrigens ein mittelklasse-hotelzimmer mit balkon und meerblick fuer elf euro gegoennt. zum meerblick gehoert hier die wundervolle aussicht auf ein nagelneues, aus russland importiertes kernkraftwerk direkt am meer, das vom tsunami allerdings keine schaeden davongetragen haben soll.

die frisch renovierte kirche vom balkon aus gesehen.

vor unserer weiterfahrt (oder soll man es schon den beginn der heimreise nennen) am naechsten tag statteten wir dem gandhi-memorial einen besuch ab. von hier aus wurde 1948 ein teil der asche des mahatma in der see verstreut und noch heute scheinen die sonnenstrahlen am 2. oktober (gandhis geburtstag) auf den gedenkstein, der daran erinnert. unweit davon stehen noch zwei weitere denkmale, ein haesslich-protziges in form einer 40 meter hohen statue des tamilischen nationaldichters tiruvalluvar auf einer vorgelagerten insel, und ein etwas unbeeindruckend geratenes fuer die opfer des tsunamis.

thiruvallur-statue im meer.

die idee ist gut, an der umsetzung hats gehapert.

das erste stueck der fuenfstuendigen minibus-fahrtstrecke nach madurai, einer grossstadt etwa 200 km noerdlich, war auf beiden seiten der strasse von hunderten kleinerer, groesserer und riesiger windraeder gesaeumt. auch ansonsten verlief die fahrt im mit kahlgeschorenen hindu-pilgern vollgestopften bus eher unindisch. die strasse war autobahnhaft ausgebaut (zwei spuren fuer jede seite), verfuegte ueber strassenschilder und sogar wegweiser mit entfernungsangaben, die waehrend der fahrt nicht unkontrolliert anstiegen und abnahmen. einige teilstuecken fehlten noch, aber insgesamt war hier schon eindrucksvoll zu sehen, woran momentan im ganzen land fieberhaft gebaut wird. nach der sichtung eines kleintransporters, der auf der ladeflaeche einen ausgewachsenen elefanten transportierte, war uns allerdings wieder klar, wo wir hier sind.


erleben sie tamil nadu, wie es wirklich ist - bezaubernde orte warten auf ihre entdeckung, darunter der grosse tempel von rameshwaram und die selbstmordklippen von kodaikanal...

vor der einfahrt nach madurai jetzt zunaechst ein paar worte ueber tamil nadu. der bundesstaat wurde - wie so ziemlich alle in indien - in den 1950er jahren entlang der sprachgrenzen geschaffen und beherbergt daher heute den ueberwiegenden teil der tamilen indiens und der welt. tamilisch ist (anders als hindi, gujarati, punjabi etc.) keine indoeuropaeische sprache, sondern mit etwa 70 millionen sprechern die wichtigste vertreterin der dravidischen gruppe und ausserdem die einzige klassische sprache indiens, die bis heute ueberlebt hat. sie wird mehr oder weniger seit ueber 2500 jahren kontinuierlich hier gesprochen, wenngleich sie natuerlich viele woerter aus dem norden im laufe der zeit uebernommen hat. tamil nadu ist seit seinem bestehen immer eine sehr unabhaengige politische linie gefahren und hat mit der zeit - auf seinen traditionen basierend - eine art personenkult-lastigen dravidisch gefaerbten sozialismus entwickelt. das einmalige der hiesigen politischen kultur ist, dass ausnahmslos alle spitzenpolitiker ehemalige filmstars oder drehbuchautoren sind und von ihren anhaengern wie goetter verehrt werden. wir hatten das glueck (?), diese besonderheit in hoechstform erleben zu duerfen.

schon waehrend der bus sich noch ueber die verstopften strassen der vororte madurais kaempfte, waren sie an den strassenraendern nicht zu uebersehen: riesige plakate eines ziemlich haesslichen, dicken, tamilischen kim-jong-il-verschnittes, dem offenbar zum 59. geburtstag gratuliert wurde. seine tausendfache praesenz in bildform (an jeder laterne, an jeder plakatwand und in autofenstern) war jedoch noch lange nicht alles: an grossen kreuzungen entdeckten wir grosse licht-installationen, die den seltsamen herren als die aufgehende sonne ueber tamil und aehnliches inszenierten. the king of madurai, our majesty, the emperor...

am naechsten tag erfuhren wir, um wen es sich handelte: nicht etwa den chief minister karunadhini persoenlich, der das land seit 1969 immer mal wieder regiert und mit seiner sonnenbrille und dem gelben schal eine lebende legende ist. gezeigt war sein aelterer sohn, der nach innerparteilichen/-familiaeren differenzen in die bundespolitik abgeschoben wurde, madurai als basis waehlte und heute indischer minister fuer chemikalien und duengemittel ist. alle von uns darauf angesprochenen tamilen waren aeusserst stolz, dem duengeminister auf diese pompoese art zum neunundfuenfzigsten gratulieren zu duerfen. sein juengerer bruder heisst uebrigens stalin und hat gute chancen, naechster chief zu werden...

davon abgesehen hat madurai auch noch ein paar wirkliche sehenswuerdigkeiten, die wichtigste davon ein riesiger tempel mit zwoelf grossen und kleinen tuermen, der urspruenglich aus handelseinnahmen mit dem roemischen reich (!) finanziert wurde und heute noch die stadt ueberragt. ausserdem besichtigten wir das gandhi-museum, dass einen recht guten ueberblick ueber den indischen freiheitskampf seit der ankunft des "whiteman" und obendrein eine bunte sammlung von gandhi-bildern, -kissen, -sandalen und sogar sein (blutiges) letztes hemd bietet, auf das wir gerne verzichtet haetten. alles in allem eine sehr tamilische hommage an den mahatma, aber hier ist der personenkult wenigstens einigermassen berechtigt. die anwesenden schulklassen interessierten sich leider mehr fuer uns als fuer den vater der nation.

einer der tempeltuerme, die die stadt ueberragen.

detail: die vielarmige lakshmi.

die ohren des genies.

am zweiten und letzten abend gerieten wir in einem relativ preiswerten dachrestaurant mit tempelblick unter die fittiche eines zwanzigjaehrigen kellners, der in punkto untertaenigkeit alles ueberbot, was wir bis jetzt erlebt haben und uns damit ein wenig verlegen machte. wie wuerdet ihr euch fuehlen, wenn sich die bedienung im restaurant dafuer bedankt, dass sie euch essen bringen, das bier eingiessen oder die zigarette anzuenden darf? nicht unsere welt. am ende hat er uns allerdings ein paar tamilische und wir ihm einige deutsche floskeln beigebracht. thank you, sir, thank you. aber es geht immer schlimmer. deswegen fuehlte sich der inder an unserem tisch in der bar wenig spaeter zum ausruf "germany? good country! i like hitler!" genoetigt. das nahm er allerdings nach energischem kopfwackeln und hand-unter-dem-kinn-hin-und-her-bewegen unsererseits etwas kleinlaut wieder zurueck.

am naechsten tag ueberraschten wir uns gegenseitig mit der unabhaengig zustande gekommenen entscheidung, nicht in die hill station kodaikanal fahren zu wollen. denn dort ist es kalt, neblig und ueberhaupt muss man da so viel bus fahren. stattdessen begaben wir uns auf der gepaeckablage in der dritten (unreservierten) zugklasse, die man nach allen hinweisen auf jeden fall meiden sollte, in richtung pondicherry. die ehemalige hauptstadt franzoesisch-indiens (ja, das gabs auch noch) sollte sowas von toll, europaeisch und spirituell hochwertig sein, dass man auf keinen fall dran vorbeifahren darf. auf dem weg dahin trafen wir eine vierkoepfige familie, deren haus dem highway-bau zum opfer gefallen war und um die sich die regierung einen dreck kuemmert. die regierung von pondicherry, wohlgemerkt. die kleine tochter war ganz begeistert von sister lenka - wie sich herausgestellt hat leider zum grossteil, weil die sister weiss ist.

"if you're thinkin' of being my sister, it don't matter if you're black or white"

strassenschilder in pondicherry. wer kennt sie nicht - alexandre dumas und claude von bussi?

zugegeben, pondicherry ist europaeisch. es gibt vollkorn-baguettes, ordentlichen kaffee, frische salate, schnelle internetverbindungen und andere unindische sachen. zweistoeckige haeuser mit fensterlaeden und pizza hut auch. das wars dann aber auch schon. der eingemauerte fluss durchs zentrum stinkt wie jeder andere hier, der strand ist verdreckt und total ueberlaufen und hinzu kommt noch, dass die stadt fest in der hand des etwas dubiosen sri-aurobindo-ashrams ist, der von aurobindo ghose, einem gelehrten und freiheitskaempfer, gegruendet, und spaeter von mira alfassa, hier nur "the mother" genannt, weitergefuehrt wurde. heute betreibt die aurobindo-gesellschaft neben ihrem ashram und der utopischen gemeinschaft "auroville" am noerdlichen stadtrand auch dutzende gasthaeuser, restaurants und ein paar druckereien sowie eine IT-firma etc. pp. und ist stinkereich. so wie auch die meisten touristen in pondicherry, ueberwiegend natuerlich franzosen.

pondicherrys gandhi ist besonders bei kindern beliebt.

und weil das alles so gar nicht zu uns passt und wir uns schliesslich nicht nur mit uns bzw. fernsehn beschaeftigen koennen, fuhren wir eben weiter, drei stunden nach norden. und hier sind wir jetzt - im kleinen oertchen mamallapuram, das aufgrund seiner felsenreliefs, steinmetzkunst und tempel zum weltkulturerbe zaehlt und obendrein eine krokodil-farm sowie - unabhaengig davon - gutes essen zu bieten hat. dazu spaeter mehr. jetzt wird erstmal angestossen!

euch allen weiterhin einen erfolgreichen kampf gegen schnee und eis, wir fahren am freitag weiter nach chennai, die tamilische hauptstadt.

iniya iravu (gute nacht)!

l+j

4 Kommentare:

  1. ... fein fein, da würde ich auch gern mit anstoßen! feiert schön und lasst euch grüßen! miklaws

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  2. ...grad dacht ich noch ich bin nach langer zeit mal wieder die erste...aber, denkste puppe!
    danke für den schönen und wieder sehr interessanten bericht...und die schönen bilder...besonders das mit lenka und ihrer neuen schwester (guter spruch dazu, übrigens)
    da wir alle erst nach 20 uhr ind time angerufen haben...konnten wir die glückwünsche nur schreibend(aber ebenso herzlich)überbringen...also, nochmals: die besten wünsche für dich, liebe lenka! fühl dich gedrückt
    eure m. und natürlich grüße vom wolferl und der omma

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  3. Hello sister and brother!
    Dzakuju za rjane wobrazy a rozprawu! Anna

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  4. herzlichen glückwunsch meine torte!
    jetzt trägst du die uhr schon ein jahr auf den tag genau.
    freu mich, dass es euch gut geht.

    postrow,
    rejzka

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