26.4.14

Über die Berge zum Meer

Sa, 26. April. Tag 16, Kilometerstand 922.

Vom Nanos in Slowenien aus fahren wir durch das Vipava-Tal – eine bekannte slowenische Weinbaugegend – und vorbei an der von Maks Fabiani umgestalteten Altstadt von Stanjel bei schönstem Wetter durch den Karst hinein nach Italien. Wobei in den ersten Dörfern hinter der Grenze auch Slowenisch gesprochen wird.



Auf einem Holperweg nördlich der Hafenstadt Monfalcone stoßen wir mitten im Wald auf Schützengräben der Isonzo-Front, an der zwischen 1915 und 1918 Italien und Österreich erbittert miteinander kämpften und mehrere Hunderttausend Soldaten auf beiden Seiten ihr Leben ließen. Die Grenze hatte sich danach lediglich um ein paar Kilometer verschoben, dafür erhielten die Italiener Triest.


Hinter Monfalcone beginnt die Ebene, die sich bis nach Bologna zieht und mehr oder weniger ohne eine einzige Erhebung auskommt, sieht man mal von den Deichen entlang der Flüsse ab. Landschaftlich also ziemlich langweilig, dafür sehen wir drei Tage hintereinander die schneeweißen Gipfel der Alpen am nördlichen Horizont, am dritten Morgen auch die zackigen Gipfel der Dolomiten. Über die Lagune hinweg gibt es außerdem im Dunst die Skyline von Venedig zu sehen. Näher fahren wir da nicht ran. Auf dem Gelände einer LPG, wo wir zelten wollen, mäht man uns extra ein Stück Wiese.




Karfreitag erreichen wir Padua, eine der ältesten Städte der Region, die durchzogen wird von kleinen Kanälen und geprägt ist von den Arkaden, die sich an den meisten Straßen beidseitig entlangziehen und eigentlich dazu dienten, sowohl genug Wohnraum als auch genug Platz für Verkehr und Handel innerhalb der mächtigen Stadtmauern Paduas unterzubringen. Abends sitzen wir auf dem Prato della Valle, der zu den größten innerstädtischen Plätzen Europas gehört und als Park, Markt oder auch Bühne für diverse Musiker und andere Künstler dient (wir erwischten das Gaga Symphony Orchestra.





In Padua bleiben wir zwei Nächte. Karsamstag besuchen wir zur Osternacht die Basilika des Heiligen Antonius von Padua, den man auch bei uns unter anderem zum Wiederauffinden verlorener Dinge anruft. Die Messe in der riesigen, ziemlich byzantinisch anmutenden Kirche auf dem Grab des Heiligen ist zwar im Kerzenschein recht beeindruckend, allerdings ist es auf Dauer etwas nervig, wenn man die Lieder nicht mitsingen kann und von der in voller Länge vorgetragenen Schöpfungsgeschichte nur "Gott sagte" und "Er sah, dass es gut war" versteht. Osterreiter gibts auch keine.





Unsere ostersonntägliche Prozession führt uns – nachdem wir die kegelförmigen Eugeneanischen Hügel südlich der Stadt und den Ort Monselice hinter uns gelassen haben – durch eine nochmals mit äußerster Langweiligkeit gestrafte Gegend, die von der Etsch (italienisch Adige) durchflossen wird. Abends zelten wir am Nordufer des Po, der auf beiden Seiten von Auwäldern und hohen Deichen gesäumt ist.



Der nächste Tag bringt uns über Ferrara nach Bologna. Abermals links und rechts Felder, soweit das Auge reicht. Nennenswerte Erhebungen sind nicht zu erkennen. Wir beehren den ersten italienischen Campingplatz an der nördlichen Stadtgrenze der alten Universitätsstadt, fühlen uns allerdings als Zelter unter Caravanern ziemlich fehl am Platz. Wenigstens grüßen sie freundlich.

Für Bologna haben wir am nächsten Tag nur eine knappe Stunde Zeit, wobei es auch nicht sehr praktisch ist, die voll beladenen Fahrräder durch die engen Gassen der Altstadt zwischen Marktständen, Cafés und Touristen hindurch zu manövrieren. Unser Weg führt uns ab jetzt hinauf in den Appenin, den wir überqueren müssen, um an die "andere Hälfte" des Mittelmeers, also auf die Westseite des Stiefels zu kommen.





Der Weg am Fluss Reno entlang ist teils als Radweg ausgeschildert, jedoch ab und an aus heiterem Himmel gesperrt, weil ein Stück während der letzten Überschwemmungen verloren ging. An anderen Stellen schraubt er sich völlig unnötig steil aus dem Tal heraus, um einen Kilometer später wieder herunterzuführen. Alles in allem kommt man auf der stark befahrenen Staatsstraße besser weg.




Nachmittags ein heftiger Wolkenbruch vor Vergato. Straßen stehen unter Wasser, wir triefend am Straßenrand. Als die Sonne gerade wieder hervorkommt, hält ein VW-Bus am Straßenrand und wir werden auf Deutsch angesprochen und eingeladen, die Nacht im Haus von Martin und Adele in einem Dorf in den Bergen zu verbringen. Das beschert uns einen schönen Abend mit Pasta, Wein und Bier und einem trockenen Schlafplatz, den wir sonst wohl nicht gefunden hätten.



Mittwoch und Donnerstag fahren wir weiter durch den Appenin, überqueren die Grenze der Toskana, haben unsere erste Panne (gerissener Bowdenzug), suchen den ersten italienischen Fahrradladen auf und sehen Überreste der Gotenlinie, mit der die Wehrmacht und ein paar übrig gebliebene italienische Faschisten noch Ende 1944 versuchten, die Alliierten abzuwehren. Selbstverständlich erfolglos.




Bei San Marcello Pistoiese schieben wir die Räder über eine der längsten Hängebrücken der Welt, die über 200 Meter lang, 35 Meter über dem Talboden und gerade breit genug für unsere Räder (ohne Taschen) ist. Da sie auf beiden Seiten nur über Treppen und steile Pfade zu erreichen ist, wird diese Exkursion zu einer ziemlich schweißtreibenden Angelegenheit.





Wir fahren das Tal des Lima herunter bis Bagni di Lucca (die italienische Variante von Banja Luka), biegen dann jedoch rechts ab in Richtung Castelnuovo, wo wir die Nacht verbringen.

Nachdem am Freitag der Morgennebel verflogen ist, machen wir uns an den 21 Kilometer langen und 780 Meter hohen Anstieg zum Passo del Vestito, dem mit 1056 Metern höchsten Straßenübergang über die Apuanischen Alpen. Zwischenzeitlich wird es ziemlich steil, aber nach zwei Stunden ist der Gipfeltunnel erreicht. Hinter dem Pass machen wir unsere erste Mittagspause über 1000 Metern mit Blick auf die von Steinbrüchen zerfressenen schroffen Gipfel und Abhänge. Hier kommt der weltberühmte Carrara-Marmor her und die Einwohner wehren sich händeringend gegen jegliche Pläne, die Steinbrüche aus Rentabilitäts- oder Naturschutzgründen zu schließen, letztlich ist der Marmor das Einzige, was ihnen in dieser Gegend heute noch einen Verdienst ermöglicht.

Der 25. April ist in Italien auch der Tag der Befreiung, an dem auf der Passstraße über den Vestito jedes Jahr ein Gedächtnisrennen historischer Autos stattfindet, um an den Vormarsch der Alliierten über die "Gotenlinie" und die Befreiung vom Faschismus zu errinnern. Als erstes kommen die ganz alten Maschinen, Baujahr vor 1945 (Auto wie Fahrer), dann etwas jüngere, unter anderem ein alter Trabant, erste Baureihe. Auch wir lassen uns die spektakuläre Abfahrt von 1000 auf 0 mit zehn Serpentinen und über 15 Kilometer bis hinab zum Meer nicht entgehen und fahren den Oldtimern hinterher.












Nach mehr als 900 Kilometern haben wir nun den Appenin überquert und sind am Tyrrhenischen Meer angekommen. Von nun an geht es wieder in nördlichere Richtung, mit Kurs auf Marseille.


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